pixabay: Händeschütteln

Badisches Tagblatt 10.09.22 - Langzeitarbeitsloser erfolgreich integriert in Arbeitsmarkt

Von ganz unten zu „unverzichtbar“ - ein Bericht aus dem Badischen Tagblatt, 10.09.2022

Rastatt – Sein Leben war „wild“. Das sagt Markus Herrmann von sich selbst. Alkohol, Drogen, Arbeitslosigkeit, über ein Jahr lang war er obdachlos. Er war jemand, den die Agentur für Arbeit einen „sehr arbeitsmarktfernen Menschen“ nennt. Doch das liegt erst einmal hinter ihm.

 

Der 42-Jährige hat sein Leben mit Hilfe spezieller Förderung auf den Kopf gestellt, die Richtung um 180 Grad gedreht.
Seit über einem Jahr ist der Rastatter nun schon fest als Vollzeitkraft beim Bürobedarfshaus Schwab beschäftigt.

 

Für die Arbeitsagentur ist derRastatter ein Vorzeigebeispiel. Dafür, wie man dem Fachkräftemangel hierzulande auch mit
dem Ansatz begegnen kann, Langzeitarbeitslose wieder einzugliedern. In diesem Fall mit einem Programm des Jobcenters.
Für die Firma Schwab ist er zum wertvollen Mitarbeiter geworden, zu einem, der sich sogar „unverzichtbar gemacht hat“,
wie Geschäftsführer Theo Schillinger betont. Für Markus Herrmann selbst ist all das ein neuer Halt im Leben. „Wie ich
hier aufgenommen wurde, wie mir vertraut wurde, das habe ich draußen nie so gekannt.“

 

„Draußen“, also obdachlos, das war er, als er einst als Aushilfskraft bei Schwab anheuerte. Immer wieder benötigte das
Unternehmen bei größeren Aufträgen von Firmenkunden Helfer. Als Herrmann eines Morgens im Winter vor der Tür
stand, nachdem er die Nacht im Zelt verbracht hatte, boten ihm Schillinger und Vertriebsleiterin Sabrina Schwab ein
kleines Zimmer mit Küche an, das einst im Firmengebäude eingerichtet worden war. Seitdem wohnt er dort.
Beruflich habe er zuvor „alles Mögliche“ gemacht, erzählt der 42-Jährige. Er ist gelernter Gipser/Stuckateur, war über
Zeitarbeitsfirmen in Lagern oder am Band beschäftigt, ein paar Tage, ein paar Wochen. „Bestimmt zehn Jahre“ sei er
letztlich erwerbslos gewesen. „Es hat mir nirgends wirklich gefallen.“
Bei Schwab, wo er längst nicht mehr nur Aushilfskraft ist, sei das anders. „Ich habe Verantwortung und lerne jeden
Tag Neues.“ Herrmann baut Büromöbel auf, übernimmt teilweise die Federführung, wenn es um Auslieferungen geht,
wie Theo Schillinger berichtet, ist bei Firmenkunden unterwegs, im Wareneingang und -ausgang tätig, bedient den Computer.

 

Es sei gar nicht so schwer gewesen, sich einzugewöhnen, sagt Herrmann. Als die Firma ihm im vergangenen Jahr einen
„richtigen“ festen Arbeitsplatz anbieten wollte, kam das Jobcenter Rastatt ins Spiel. Denn: Das Teilhabechancengesetz eröffnet
die Möglichkeit, sozialversicherungspflichtige Beschäftigung über eine Förderung zu erreichen. Es richtet sich ausschließlich an
Menschen, die zwei Jahre oder länger arbeitslos sind und an Firmen, die bereit sind, diese für mindestens zwei Jahre aufzunehmen.
Ziel ist natürlich eine ungeförderte Anstellung auf dem Arbeitsmarkt. Zunächst aber gibt es einen gestaffelten Lohnkostenzuschuss
und ein begleitetes Coaching für Arbeitnehmer und Arbeitgeber.

Ansprechpartner beim Jobcenter ist Roland Stolz. Und der weiß: Manche „Arbeitsmarktferne“ haben schwere Probleme, die zuerst
behoben werden müssen, ehe sie wieder arbeiten gehen können. Markus Herrmann sei da schon ein „einfacher Kunde“, der wenig
Betreuung seitens der Behörde brauche – auch, weil er in der Firma gut betreut werde. „Markus hat sich sehr gut entwickelt“, stellt Stolz
fest. Jessica Beiner, Pressesprecherin der Agentur für Arbeit Karlsruhe-Rastatt, nennt ihn ein Beispiel dafür, wie jemand von ganz
unten anfängt und sich bewähren kann.

 

Seit das spezielle Förderprogramm vor drei Jahren aufgelegt wurde, sei es gelungen, in diesem Rahmen 160 bis 170 Menschen bis zu
einer Vorstellung beziehungsweise einer Probearbeit zu bringen, resümiert Stolz. „Bei etwa 120 hat es dann geklappt.“ Auch
langzeitarbeitslose Menschen, so die Agentur, sollen vom Aufwärtstrend nach Corona profitieren können – und Betriebe in Zeiten des
Fachkräftemangels vielleicht auch auf diesem Weg eine Lösung finden. „Ich will hier niemanden enttäuschen“, sagt Markus Herrmann,
der sich nun weitere Ziele steckt: Zum Beispiel den Führerschein machen. Einen Allrounder wie ihn zu finden, sei tatsächlich schwer,
meint sein Chef Schillinger.
Und betont: „Für ihn ist das hier ein sicherer Arbeitsplatz. Den hat er sich verdient.“